Minderheitenwallfahrt auf den Sankt Annaberg

Typ: Rede , Datum: 02.06.2019

  • Ort

    Sankt Annaberg / Polen

  • Rednerin oder Redner

    Prof. Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten

Es gilt das gesprochene Wort!

Es ist mir eine große Ehre und Freude zugleich, an der diesjährigen Wallfahrt der nationalen Minderheiten auf den Sankt Annaberg teilnehmen zu dürfen.

Ich überbringe Ihnen die besten Grüße der Bundesregierung, allen voran von Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und unserem Bundesinnenminister Horst Seehofer aus Berlin.

Wir sind an einem besonderen Ort zusammengekommen. Der Sankt Annaberg erhebt sich markant in der oberschlesischen Ebene. Von seinem Gipfel aus „schaut man ins weite Land“, wie es in einem deutschen Volkslied heißt. Es ist unmöglich, sich Oberschlesien ohne den Sankt Annaberg vorzustellen.

Der Sankt Annaberg ist nicht nur ein integraler Bestandteil der oberschlesischen Landschaft. Er ist zudem ein wahrhaft historischer Ort mit einer zentralen Bedeutung nicht nur für die Oberschlesier, die Deutschen und Polen, sondern für alle Christen. Zahllose Pilger, betreut von den Franziskanern hier am Berg, machen sich seit Jahrhunderten auf den Weg, um hier zu beten.

Von großer Wichtigkeit für die Geschichte des Sankt Annaberges ist der 4. Juni 1989 - also vor genau drei Jahrzehnten - als hier nach der sozialistischen Unfreiheit der erste, in deutscher Sprache abgehaltene Gottesdienst stattfand. Seit 1989 kann wieder an die jahrhundertelange, von den Franziskanern gepflegte Tradition der Seelsorge auf Polnisch und Deutsch angeknüpft werden, die vor 80 Jahren durch den nationalsozialistischen Überfall auf Polen ihr bedauerliches Ende fand. Die Wirren des 20. Jahrhunderts und das nationalsozialistische Unrecht haben dem oberschlesischen Land und seinen Menschen tiefe Wunden gerissen.

Vor allem nach der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten erschien eine Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen utopisch. Doch auch hier ist der Sankt Annaberg zum Ort der Versöhnung geworden: Deutsche und Polen geeint im Glauben! Unterstützung erhielten sie dabei von lebensklugen und besonnenen Männern und Frauen, wie z. B. dem emeritierten Erzbischof Alfons Nossol.

Viele Deutsche und Polen haben immer wieder Halt u. a. in der Heiligen Schrift gesucht und diesen auch gefunden. Möglicherweise haben sie das Matthäusevangelium verinnerlicht, in dem nachstehende Verse niedergeschrieben wurden: "Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. […] Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. […] Selig sind die, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen." (Matthäus 5,5-9)

Über welches Potenzial diese Worte verfügen, kann man in Oberschlesien und im Besonderen hier auf dem Sankt Annaberg erfassen. Unser Glaube vermag auch die größte Kluft zu überbrücken, Menschen zusammenzuführen und neue Freundschaft entstehen zu lassen.

Am heutigen Tag sollten wir uns dieses enormen Potenzials sowie des weiten Weges, den Oberschlesien seit der Beendigung des Zweiten Weltkrieges zurückgelegt hat, besinnen.

Als christlicher Politiker möchte ich daher heute allen hier versammelten Deutschen und Polen Mut machen, weiterhin die Freundschaftsbande zu knüpfen, etwaige Hindernisse zu beseitigen und stets Verständnis für den jeweils anderen aufzubringen. Lassen sie sich dabei vom Heiligen Geist, dessen Entsendung wir in der kommenden Woche feiern werden, leiten.

Ich bin sehr froh, als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten heute bei Ihnen allen sein zu dürfen und bedanke mich vielmals für den warmherzigen Empfang und Ihre Aufmerksamkeit.