Grußwort zum Gedenktag der Vertreibung und Verschleppung der Ungarndeutschen

Typ: Rede , Datum: 19.01.2020

  • Ort

    Many / Ungarn

  • Rednerin oder Redner

    Prof. Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten

Es gilt das gesprochene Wort!

Es ist für mich eine besondere Ehre, heute anlässlich dieser Gedenkveranstaltung als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten ein Grußwort halten zu dürfen und Ihnen auch die besten Wünsche der Bundesregierung, insbesondere von unserer Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel und unserem Bundesinnenminister Herrn Horst Seehofer zu überbringen.

Ich möchte mich bei allen, die es ermöglicht haben, dafür bedanken, dass eine Veranstaltung wie diese seit dem Jahr 2013 jährlich durchgeführt wird.

Dies ist auch in der EU keinerlei Selbstverständlichkeit. Denn es zeugt von beachtenswertem Geschichtsbewusstsein, dass ein Staat an das in seinem Namen begangene Unrecht in der Vergangenheit mahnend und versöhnend – und damit zukunftsorientiert – erinnert. Dazu gehören bessere Erkenntnis und die Größe, sich von Fehlern der Vergangenheit zu verabschieden.

Danke, dass Sie in dieser Sache mit guten Beispiel in Europa vorangehen. Stellvertretend für die gesamte ungarische Regierung spreche ich Ihnen, lieber Staatssekretär Soltész, für das positive Zeichen, dass Sie mit dieser Gedenkveranstaltung aussenden, den herzlichen Dank der Bundesregierung aus.

Wir sind heute hier zusammengekommen, um der Vertreibung und Verschleppung der Ungarndeutschen zu gedenken.

Noch bei der Volkszählung 1941 gaben 477.000 Menschen in Ungarn Deutsch als ihre Muttersprache an. Geschätzt waren mehr als 5 Prozent der Landesbevölkerung Ungarns Deutsche. Viele von Ihnen waren in Handwerksberufen tätig. Es waren Maurer, Steinmetze, Dachdecker. Verlässliche und bodenständige Menschen, die das Gemeindeleben im damaligen Ungarn positiv prägten.

Nach dem Ende des Krieges wurden aber viele, die sich noch wenige Jahre zuvor selbstverständlich sowohl als loyale Bürger Ungarns als auch zur deutschen Volkszugehörigkeit bekannten, pauschal der Kollaboration mit dem Hitler-Regime bezichtigt.

Zu Beginn wurden viele Tausende Deutsche in die amerikanisch besetzte Zone des ehemaligen Deutschen Reichs vertrieben. Nachdem die US-Militärregierung die Übernahme weiterer Transporte im Dezember 1946 verweigerte, wurden sie in die sowjetisch besetzte Zone Deutschlands vertrieben.

Es ist uns wichtig festzustellen, dass dies keine Aggression des ungarischen Volkes gegen ihre deutschen Landsleute war, sondern ein Vertreibungsverbrechen eines Regimes, welches nicht der ungarischen Gesellschaft vorgeworfen werden darf.

Aus Protest gegen die Vertreibung trat der damalige ungarische Innenminister István Bibó im Jahr 1945 von seinem Posten zurück.

Noch härter traf das Schicksal danach die zahlreichen aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft Zurückgekehrten. Sie wurden zu harter Zwangsarbeit verpflichtet und mussten zum Beispiel Industrieanlagen aufbauen; auf ihre Arbeit gehen ein Wasserkraftwerk und eine bedeutende Chemiefabrik zurück.

In der Folge war die Zahl der in Ungarn verbliebenen Deutschen auf etwa 220.000 mehr als halbiert. Die deutsche Sprache war wie in vielen Ländern des Ostblocks geächtet. Der mit dieser Ächtung eingehende und Generationen nachwirkende Sprachverlust ist ein schweres Erbe, das uns auch heute noch vor große Herausforderungen stellt.

Man muss sich auch immer wieder die Einzelschicksale vergegenwärtigen, die sich hinter diesen Zahlen verbergen. Die vielen Lebensträume, die nie erfüllt wurden. Die Angehörigen, die nie wiederkehrten.

Dennoch bildeten die verbliebenen Ungarndeutschen eine starke Gemeinschaft, die auf bessere Umstände wartete. Unmittelbar nach der politischen Wende bildeten sich zahlreiche Vereine auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene.

Welche positive Entwicklung folgte und auf eine mustergültige und inklusive Minderheitenpolitik in Ungarn zurückzuführen ist, sehen wir, wenn wir die Volkszählung 2011 mit der von 2001 vergleichen. Bekannten sich 2001 noch ca. 62.000 Menschen zur deutschen Minderheit, waren es 2011 schon 185.000 – also dreimal so viel!

Auch möchte ich Franz Madl nicht unerwähnt lassen, den ungarischen Staatspräsidenten von 2000 bis 2005 – ein deutschstämmiger Ungar. Ein sichtbareres Zeichen für die erfolgreiche Teilhabe der deutschen Minderheit in Ungarn ist kaum denkbar.

Ganz besonders hervorheben möchte ich die Stärke der Selbstorganisation der Ungarndeutschen, der LdU. Seit gut 25 Jahren dient sie den Deutschen in Ungarn als Vertretung ihrer Interessen und den Regierungen Ungarns und Deutschlands als verlässlicher Partner und Brücke zwischen beiden Staaten. Dafür möchte ich Ihnen, liebe Frau Vorsitzende Hock-Englender, und allen Ihren Mitstreitern, den Deutschen in Ungarn, von Herzen danken!

Die Folgen, die die Vertreibung und Verschleppung der Ungarndeutschen hatten, sind noch nicht vollkommen behoben. Indem man die Untaten der Vergangenheit verschweigt oder einem würdevollen Gedenken im Wege steht, verbessert sich die Situation sicherlich nicht. Diese Erkenntnis hat sich in Ungarn schon lange durchgesetzt. Dafür danke ich.

Lassen Sie uns angesichts des Wissens darum, was Menschen einander antun können, gemeinsam daran arbeiten, dass Minderheiten und Mehrheitsbevölkerung in gegenseitigem Respekt und in gegenseitiger Anerkennung miteinander leben können. Meine Unterstützung und die der gesamten Bundesregierung haben Sie jederzeit.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.